Wenn BVB gegen FCB zur Nebensache wird: `Sport for Development´ Projekt in Mexiko-Stadt

Von Jan Franke

Es war eine zugleich überraschende wie auch zufriedenstellende Antwort für mich, als ich die Mädchen der Berufsschule in Metepec nach einer Trainingseinheit fragte, ob sie denn am Wochenende den „German Clásico“ Borussia Dortmund gegen FC Bayern München sehen werden: „No tenemos tiempo para ver El Clasico Alemán, los sábados siempre nos juntamos y jugamos fútbol en la cancha nosotras.” Die Jugendlichen hatten also keine Zeit zum Fußballschauen, es zog sie, wie mittlerweile jeden Samstag, raus auf den Fußballplatz, um mit ihren Freunden Fußball zu spielen.

Damit ist ein großes Ziel des Projekts `Sport for Development´ (S4D), welches seit Februar 2022 in den Randbezirken von Mexiko-Stadt ca. 150 weiblichen Jugendlichen an sechs verschiedenen Berufsschulen neben ihrer Berufsausbildung auch eine Bewegungsmöglichkeit bietet, erreicht. In einem Land, in dem Armut, Gewalt, Kriminalität, schwierige Wohnverhältnisse und ein unzureichendes Gesundheitssystem in vielen Teilen immer noch Alltag sind, bietet der Fußball den Mädchen neue Perspektiven. Aufgrund der hohen Adipositasrate liegt der Fokus der einmal wöchentlich stattfindenden Fußballtrainingseinheiten, die von einem ausgebildeten S4D-Coach geleitet werden, natürlich auch auf der spielerisch vermittelten physischen Komponente. Noch wichtigere Inhalte sind aber das Erlernen von sozialen und kommunikativen Kompetenzen durch den Sport, das Erlangen eines stärkeren Selbstbewusstseins, Teamfähigkeit und Resilienz. Auch das Verhalten in Konfliktfällen, Antirassismus und Gewaltprävention spielen bei den Trainings eine wichtige Rolle.

Das Projekt „Sport for Development“ ist eingebettet in eine erfolgreiche Gemeinschaftsarbeit, nämlich einerseits das Sektorvorhaben Sport für Entwicklung (SVSfE) und das Berufsbildungsvorhaben der deutsch-mexikanischen Zusammenarbeit über die GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ), und andererseits die DFB-Stiftung Egidius Braun und die „Academia Borussia“, eine der zahlreichen Fußballschulen von Borussia Dortmund weltweit. Anfang September konnte ein erfolgreiches Pilotturnier organisiert werden, in dem die Jugendlichen der sechs Berufsschulen gegeneinander spielten. Neben dem Wunsch, als bestes Team aus dem Turnier herauszugehen, stand für die Mädchen vor allem der Spaß und der Fairplay-Gedanke im Vordergrund.

Ein weiteres Aufeinandertreffen wird Anfang des neuen Jahres folgen. Hier werden dann - nach erfolgreicher Absolvierung mehrtägiger Fortbildungen - auch die Berufsschulsportlehrer der Mädchen im Hinblick auf nachhaltige Entwicklung stärker in den Trainingsbetrieb mit einbezogen werden. Im Anschluss an dieses Turnier soll den Partnern im mexikanischen Bildungsministerium auch das langfristige Ziel vorgeschlagen werden, die Etablierung einer Berufsschulfrauenliga für die staatlichen Berufsschulen nach dem Vorbild der US-amerikanischen College-Leagues. Bis zur WM 2026, die in Kanada, den USA und auch in Mexiko stattfindet, könnte dieses Vorhaben bereits Früchte tragen.

Ein unvergessliches Erlebnis für die Mädchen war sicherlich auch der Besuch des Azteka Stadions im Juli in MexikoStadt, dem legendären Ort, wo Diego Maradona bei der WM 1986 mit Hilfe der „Hand Gottes“ im Viertelfinale gegen England gewann und anschließend beim 3:2 Sieg im Finale gegen Deutschland vor fast 115.000 Zuschauern sein berühmtes Jahrhunderttor schoss. An jenem Abend unterlag die Bundesligafrauenmannschaft von Bayer 04 Leverkusen dem mexikanischen Club América Femenil mit 0:1, was für ausgelassene Stimmung bei den Jugendlichen sorgte. Viele von ihnen sind seitdem richtige Fußballfans und träumen von einer Karriere als Fußballerin. Spätestens dann wird vielleicht auch der „German Clásico“ zwischen dem BVB und dem FCB von größerem Interesse sein…